Sardinien: Trekking auf dem Selvaggio Blu
Der Charakter der Tour: wild, romantisch, wunderschön. Man durchwandert im mediterranen Karst eine uralte Kulturlandschaft voller Farben und Gerüche. Aufgrund des unwegsamen Geländes betragen die Tagesetappen teilweise nur wenige Kilometer. Bis auf eine der Kletterstellen (umgehbar, 10 und 5 Meter im Grad IV+) kann man alles alleine gehen, zu zweit oder mehreren ist es aber einfacher, da man sich das Gewicht der Seile teilen kann.
Voraussetzungen: sehr gutes Orientierungsvermögen; sicheres Beherrschen des Abseilens und einer Sicherungstechnik; ggf. Umgang mit Klettersteigset; Trittsicherheit; Schwindelfreiheit; Bereitschaft, mit zahlreichen Kratzern, blauen (sic!) Flecken sowie kaputten Schuhen und zerrissenen Klamotten heimzukehren.
Versorgung mit Nahrungsmitteln/Wasser: entweder auf das Glück (generöse oder geschäftstüchtige Reisebekanntschaften, ergiebige Wasserstellen) hoffen und ausreichend Essen für eine Woche mitnehmen; oder vorher entlang der Route Depots anlegen (werden leider manchmal geplündert); entweder mit gechartertem Boot von Santa Maria Navarrese bzw. Cala Gonone aus, oder mit (Miet-)Auto und einigen kürzeren Wanderungen auf Stichwegen von der Landseite aus.
Übernachten: erste und letzte Nacht in der Stadt (Jugendherberge nur bei Cagliari, sonst Hotel), unterwegs 6 – 7 mal unter freiem Himmel oder in Höhlen, Übernachtungsstellen finden sich reichlich. Wenn man Depots angelegt hat, ist man an die Buchten gebunden. Wenn nicht, findet sich überall auf dem Weg immer mal wieder ein Platz zum Schlafen. Meist einsam, Cala Goloritzè überlaufen.
Wegearten
Höhenprofil anzeigenSicherheitshinweise
Es gibt vier Hauptschwierigkeiten auf der Route:
1. Wasser
Die Wasserversorgung ist das größte Problem. Im porösen Kalkstein versickert der Regen sofort, und es gibt keine sichere Wasserstelle. Die größte Chance, Wasser zu finden, hat man im frühen Frühjahr. Manchmal findet man Gefäße zum Wassersammeln, die von Hirten in Höhlen oder an Bäumen aufgestellt wurden. In der Cala Goloritzè gibt es am Strand eine oft trockene Quelle. Man muss also entweder sehr viel Wasser mitnehmen (ca. 4 Liter pro Person und Tag), auf sein Glück vertrauen oder vor der Tour Depots anlegen.
2. Orientierung
Die Wegweisung ist äußerst spärlich, das Gelände häufig weglos. Kompass und Karte sind ein Muss, ein Höhenmesser anzuraten und ein Navigationsgerät sehr sinnvoll. Aber durch die starke Zerklüftung des Geländes und die Ungenauigkeit der GPS-Technik ist diese alles andere als idiotensicher. Wichtigste Voraussetzung deshalb: hervorragender Orientierungssinn.
3. Gelände
Der Untergrund besteht meist aus scharfkantig erodiertem Kalkstein (Karren, Lösungsrippel). Darauf zu laufen ist sehr anstrengend, die Verletzungsgefahr sowohl durch Umknicken als auch durch die scharfen Kanten des Gesteins ist erheblich. Auch die Schuhe werden weit überdurchschnittlich beansprucht.
4. Klettern/Abseilen
- mehrere Abseilstellen, davon zweimal je 45 Meter ohne Zwischenstand (alle mit Ösen, Ringen oder Ketten eingerichtet)
- deswegen nur in Richtung Norden begehbar
- zwei mittelschwere Kletterstellen (IV+): eine mit Haken, eine mit Kette ausgestattet - erstere ist für Allein-Wanderer nicht sicher zu überwinden, aber stark frequentiert und schlimmstenfalls auf einem längeren Umweg umgehbar
- mehrere leichte Kletterstellen (III), manchmal mit Fixseilen ausgestattet (evtl. Klettersteigset)
Weitere Infos und Links
Der GPS-Track zwischen Pedra Longa und Cala Sisine wurde netterweise von Giulia Castelli und Mario Verin, letzterer einer der beiden „Erfinder“ des Selvaggio Blu, zur Verfügung gestellt.
Der Track zwischen Cala Sisine und Cala Luna entspricht dem normalen Wanderweg, nicht der im Text beschriebenen Variante direkt an der Küste. Wer einen hat, bitte bei der DAV-Sektion Berlin melden!
Start
Ziel
Wegbeschreibung
Im hübschen Ort Santa Maria beginnt die Tour zunächst auf einem normalen Wanderweg immer der Küste entlang am markanten Felsen Pedra Longa vorbei - dort gibt es in einer Bar für lange Zeit die letzte Möglichkeit, Essen und Wasser zu kaufen. Der Wanderweg setzt sich an der Küste fort, kurz nach dem letzten halbwegs sicher wasserführenden Bach steigt er steil und ausgesetzt zur Cuile Duspiggius an - der ersten der nun häufigeren typisch sardischen Hirtenhütten aus Wacholderstämmen. Von hier hat man noch einige Minuten auf einem Fahrweg, dann beginnt der eigentliche Sentiero Selvaggio Blu.
Der „Wilde Blaue Weg“ ist kein Pfad, auch kein Steig, eher eine Art Route, die – teils entlang kaum noch benutzter Hirtenpfade, teils quer und weglos durch zerklüftete Karstklippen und dorniges Macchiagestrüpp – immer möglichst nah an der Küste entlangläuft. Ab und an kreuzen halbwilde Nutztiere den Weg, nach denen nur ganz sporadisch mal ein Hirte schaut – Schweine, Rinder, Ziegen und Schafe.
Schnell wird klar, was eine der größten Schwierigkeiten ist: die Orientierung. Bestenfalls finden sich ab und an mehr oder weniger verblichene blaue Farbpunkte auf den Felsen. Weitaus öfter markieren unscheinbare, fast verwunschene Zeichen den Weg: kaum sichtbare Steinmännchen, auf eine Astgabel gelegte Kalkbrocken oder Steine mit natürlichen Löchern, die an einem Zweig hängen. Verirren sollte man sich lieber nicht und tut es trotzdem täglich mehrere Male. Und dann heißt es, so lange mit Dornenbüschen, scharfkantigen Felsen und dem eigenen Orientierungssinn zu kämpfen, bis man eher durch Zufall als durch Navigationskünste wieder auf ein Steinmännchen stößt.
In der Schlucht Bacu Tenadili wartet das erste größere Abenteuer. Zunächst geht es über ineinander verkeilte, uralte Wacholderäste, sogenannte Hirtenleitern, entlang fast senkrechter Wände recht wacklig nach unten. Dann durchquert man das schroffe Tal mit ausgetrocknetem Bachbett und muss etwa 25 Höhenmeter wieder hinauf. Die Kletterroute ist schwer zu finden, es geht hinter einem Busch unterstützt von Wacholderästen fünf Meter senkrecht hoch, dann quert man nach rechts um eine Felsnase herum (dahinger gibt es für ein paar Meter ein Fixseil), schließlich noch einmal ausgesetzte fünf Meter hinauf, Schwierigkeit UIAA: III
Etwas später bieten Portu Pedrosu und Portu Quao gute Übernachtungsstellen, wo man auch von der Meerseite mit einem Boot ein Depot anlegen kann.
Danach gelangt man über mehrere Schluchten auf den einzigartigen Aussichtspunkt Punta Salinas mit einem unvergleichlichen Blick auf die traumhafte Bucht Cala Goloritzè mit ihrem markanten Felskegel. Sie ist gleichsam Mittel- wie Höhepunkt der Tour, viele der geführten Touren entlang des „Wilden Blauen“ beschränken sich auf diesen spektakulärsten Abschnitt, und alle wollen genau hier übernachten. Dazu gesellen sich zahlreiche Kletterer und Strandgänger, denn hierher gelangen die meisten mit dem Auto und einer anschließenden zweistündigen, leidlich bequemen Wanderung.
Ab hier benötigt man die beschriebene alpinistische Ausrüstung, denn direkt anschließend kommt die Passagio Boladina – zwei kurze Kletterstellen im IV. Grad, dazwischen liegt eine stark steinschlaggefährdete Rinne. Auf dem anschließenden Bergrücken hat man die Hälfte der Gesamtstrecke hinter sich. Es folgt ein weiterer herrlicher Aussichtspunkt, danach geht es steil und gefährlich über Geröll nach unten. Hier sollte man nicht abrutschen, denn der Geröllhang endet an einer senkrecht abfallenden Klippe - der ersten Abseilstelle. Danach wandert man zunächst an einigen Höhlen vorbei, schließlich über eine sehr ausgesetzte und niedrige Passage (nicht mit dem Rucksack am Felsen hängenbleiben!) in die Schlucht. Von hier kann man einen Abstecher über die Geröllhalde zum Portu Modaloru machen, wo man in einer Höhle direkt am Meer übernachten kann.
Auf der anderen Schluchtseite geht es nach leichter und kurzer Kletterei in einer Erosionsrinne gleich wieder steil hinauf. Nicht verpassen sollte man etwas später eine unwirklich schöne Tropfsteinhöhle im naturbelassenen Zustand, in die man etwa 30 Meter hinabsteigen kann - mit Wasserstelle am tiefsten Punkt.
Es folgt nun ein recht wilder Abschnitt mit zahlreichen Abseilstellen, dazwischen eine kleine Kletterei in luftiger Höhe über dem Meer, die aber mit Ketten gesichert ist, sowie die Engstelle Sa Nurca, durch die ein Mensch gerade so bequem hindurchgehen kann. Unterbrochen sind diese teilweise recht imposanten Passagen - zwei Abseilstellen betragen 45 Meter, eine davon überhängend - von längeren Strecken durch gemächliche Wälder. Irgendwann erreicht man die Bucht Cala Sisine, lange Zeit das Ende des „Wilden Blauen“. Wer kurz vorm Verdursten ist, findet hier eine Bar mit dem teuersten - aber auch kostbarsten - Wasser Italiens.
Von hier kann man weiter dem GPS-Track folgen und gelangt auf einem Wanderweg am Arco de Lupiru, einem natürlichen Felsentor, vorbei zur bildschönen Cala Luna, „Mondbucht“.
Wer noch nicht genug Abenteuer erlebt hat, schlägt die erst seit einigen Jahren bestehende und kaum bekannte Fortsetzung der Route direkt an der Küste ein. Sie ist kürzer, dauert aber viel länger, und zweigt vom Wanderweg kaum sichtbar in einer Spitzkehre Richtung Norden ab - man läuft einfach geradeaus weiter, während der Wanderweg der Kehre folgt. Zwar ohne weitere alpinistische Herausforderungen, unterscheidet sich dieser Abschnitt nur durch die nun grünen statt blauen Markierungen vom vorherigen, mit dem er seine Unbeugsamkeit gemein hat. Mangels GPS-Track erfolgt die Orientierung auf den ersten zwei Dritteln ab der Spitzkehre ausschließlich anhand der Wegmarkierungen. Das letzte Drittel folgt dem „Sentiero Sogos“ - nach links oben geht es über den Lupiru-Grat zum gleichnamigen Felsentor, wo auch der Wanderweg vorbeiführt - wir gehen aber weiter geradeaus hoch oberhalb der Küste Richtung Norden. Dieser Weg ist seit Kurzem auf OpenStreetMap verzeichnet, so dass der Track dort heruntergeladen werden kann. Schließlich erreichen wir in einem Tal den Wanderweg und folgen ihm zur Cala Luna.
Von dort geht es - nun für alle auf dem Wanderweg - an einer Höhle vorbei zur Cala Fiuli mit Straßenanschluss und unzähligen Kletterern. Spätestens hier rückt man dreckig und mit über und über zerkratzen Armen und Beinen wieder in der Zivilisation ein, die hier den in Sportkletterkreisen bekannten Namen Cala Gonone trägt.
Öffentliche Verkehrsmittel
mit Bahn und Bus erreichbar
Bus von Olbia oder Cagliari nach Santa Maria Navarrese (zweimal täglich, sonntags nur einmal)
Rückfahrt mit dem Bus von Cala Gonone etwas häufiger
Anfahrt
Nach Cala Gonone, von dort Charterboot mieten und bis Pedra Longa oder Santa Maria Navarrese bringen lassen, ggf. auf der Fahrt in den Buchten Wasser- und Nahrungsdepots anlegen.Parken
am Hafen in Cala GononeKoordinaten
Buchempfehlungen des Autors
Kartenempfehlungen des Autors
Ausrüstung
für die gesamte Route:
- Navigationsgerät sehr zu empfehlen
- Erste-Hilfe-Set
- Matte
- Schlafsack
- ggf. Biwaksack
- alte Kleidung und Schuhe (die Gefahr, das die Dinge nicht heil bleiben, ist wegen der scharfen Kalksteine sehr groß)
- ggf. Essen für eine Woche (oder Depots anlegen)
- viel Wasser (siehe Sicherheitshinweise)
- ggf. Filter/Desinfektionsmittel
für den Abschnitt Cala Goloritzè - Cala Sisine:
- pro Gruppe: zwei 50-Meter-Seile, 3 - 4 Expressschlingen
- pro Person: Hüftgurt, Abseilgerät, 3 Schraubkarabiner, Kurzprusik, Bandschlinge
- ggf. Klettersteigset, Helm (nur auf kurzen Abschnitten sinnvoll; Gewichtsfrage)
Statistik
- 32 Wegpunkte
- 32 Wegpunkte
Fragen & Antworten
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